Vermittlung

Eine „typische“ Vermittlung

von Ralf Wunderlich

„Mama, den will ich haben, der ist süß. Bitte kauf mir den!“. Und Mama geht zum nächsten Tierheimmitarbeiter und fragt, was denn „Strolch“, ein Tibet Terrier, kosten soll. Hier fängt dann für uns die Aufklärungsarbeit an.
Wir fragen sie nach ihrer Hundeerfahrung. Ja, Hundeerfahrung wäre vorhanden, sie wäre als Kind mit dem Nachbarshund spazieren gegangen. Und sonst? Nun ja, ehrlich gesagt nicht so richtig. Also steht schon mal für uns fest, dass wir einen Anfängerhund finden müssen, der zu dieser Familie passt.

Mittlerweile steht Tochter immer noch fasziniert vor „Strolch“, der freudig wedelnd alles tut, damit sich die Familie auch ja für ihn entscheidet.
Mutter erzählt, dass sich ihre Tochter einen Hund wünscht und sie nun einen kaufen wollte. Eigentlich wollten sie ja zum Züchter gehen und einen Welpen holen, man weiß ja nie, was so einem älteren Hund (Strolch ist gerade mal 1 ½ Jahre alt) bereits widerfahren ist und welche Macken er hat. Wir klären dann die Familie erst mal auf, dass ein Tibet Terrier ein Hütehund ist und somit nicht unbedingt zu den Anfängerhunden zählt. Zumal gerade Tibet Terrier auch konsequent behandelt werden müssen um in der Rangfolge des Rudels einen festen Platz zu finden. Außerdem sei der Name „Strolch“ auch Programm und für Hundeanfänger nicht unbedingt die richtige Wahl. Auch wenn Töchterchen sich einen Hund wünscht, so müssen primär auch die Eltern ein Tier haben wollen, weil über kurz oder lang die Arbeit bei den Eltern hängen bleiben wird. Selbst wenn es Kinder geben wird, die sich so sehr ein Tier wünschen, dass sie – was sehr selten ist – wirklich immer für ihr Tier sorgen und sich ihrer Verantwortung bewusst sind, wird die Hauptverantwortung, die, die ein Kind einfach nicht alleine tragen kann, bei den Eltern bleiben.
Das fängt schon bei den Kosten an, schließt den Futterkauf (Schlepperei), den Tierarztbesuch (Zeitaufwand, Organisation bzgl. Autofahrt, evtl. Sorgen) und vieles andere mit ein. Von der Erziehung ganz zu schweigen und der Tatsache, dass ein Hund über 12 Jahre alt werden kann und eine lange Lebensphase des Kindes abdeckt, in der das Kind viele (Interessens-)Veränderungen durchleben wird. Wird da der treue Kamerad auch immer aktuell bleiben? Oder wird er evtl. lästig werden, weil doch die Freunde warten und der Hund doch verflixt noch mal nicht in aller Eile machen will, sondern lieber, wie immer schon, als Töchterchen noch Zeit hatte, an jedem Grashalm schnuppern möchte?
Diese Entwicklungsphase des Kindes ist ganz normal, aber in diesem Fall sind die Eltern gefragt. Nicht unbedingt um die „Arbeit“ zu übernehmen – im Zweifelsfall natürlich, aber auch, um dem Kind klar zu machen, dass man zusammen eine Lösung finden kann, in der der Hund nicht zu kurz kommt und das Kind auch nicht. Wie kann man jedoch eine Lösung finden, wenn einem das Tier selbst egal ist und man es eh nur hatte, weil das Kind es wollte? Jetzt will das Kind es auch nicht mehr, also was gibt es doch für eine bessere Lösung, als das Tier abzugeben?! Diese Gedanken kennen wir alle. Zu oft haben wir sie erlebt, wenn wieder ein Tier bei uns abgegeben wurde, dass die Welt nicht mehr verstand, warum seine Familie es plötzlich nicht mehr haben möchte. Doch nun zurück zu „Strolch“…
Töchterchen, das immer noch vor „Strolch“ steht -der sich richtig ins Zeug legt, um einen guten Eindruck zu machen- hat mittlerweile Tränen in den Augen als wir weitergehen und nun nach einem unserer Meinung nach passenderen Hund für diese Familie suchen. Da sitzt „Bruno“ in einer Ecke seines Zwingers, er ist ein 8-9 Jahre alter Mischlingshund, mittelgroß. Hmmm, ein bisschen ratlose Gesichter bei der Familie. Der ist doch viel zu ruhig und außerdem viiieeel zu alt. Nun gilt es Überzeugungsarbeit zu leisten. In erster Linie nicht durch uns, sondern durch „Bruno“. Aber die Vorarbeit kommt durch uns.

Ein älterer Hund hat seine Vorteile; er hat bereits einen ausgeprägten Charakter und wir können ziemlich genau sagen, wie er ist und wie er sich verhält. Das Gegenargument, einen Welpen könne man sich doch noch so erziehen wie man es bräuchte, kann recht schnell entkräftet werden damit, dass die Familie einsieht, dass sie gar nicht die Erfahrung haben, einen jungen Hund groß zu ziehen. Wenn das so einfach wäre, wäre fast kein (verzogener) Hund im Tierheim.
Ja aber, wir wollen den Hund doch zum Fahrradfahren am Wochenende mitnehmen und Papa joggt immer Samstags und Sonntags. Hiervon raten wir ab, weil der arme Hund dann bestimmt am Sonntag Abend einen Riesenmuskelkater hätte, 2 x Fahrradfahren und 2 x joggen. Unter der Woche bliebe aber nur Zeit für kleinere Spaziergänge, da wäre dann der Hund wieder fit und würde nach Bewegung lechzen. Dann wäre ja doch ein älteres und ruhigeres Tier richtiger. Was aber mit den schlechten Erfahrungen sei. Hier müssen wir ehrlich zugeben, dass es natürlich sein kann, dass der Hund mal mit irgendwas so schlechte Erfahrungen gemacht hat, dass er auf Schlüsselreize reagiert. Aber es ist uns in den letzten Jahren eigentlich so gut wie gar nicht vorgekommen, dass ein Hund auf solche Schlüsselreize aggressiv reagierte. Aber selbst beim Erziehen eines Welpen steckt man nicht drin und der Hund kann sich schneller als man denkt solche Verhaltensweisen angewöhnen.
Aber ein alter Hund stirbt doch so schnell. Nun ja, das ist natürlich richtig, dass die Lebenserwartung eines älteren Hundes nicht mehr so groß ist, wie bei einem Junghund, wobei dieses natürlich auch keine Garantie für ein langes sorgenfreies Zusammenleben ist. Wir versuchen verständlich zu machen, dass gerade diese doch etwas geringere Lebenserwartung von Vorteil sein kann, weil sie ja Hundeanfänger seien und noch nicht ganz genau wüssten, was so auf sie zukäme und wenn man nach 2, 3 oder 4 Jahren feststelle, dass es doch ne Menge Arbeit sein kann, einen Hund zu versorgen, dann kommt man vielleicht nicht in die Verlegenheit den Hund wieder zurückzubringen, weil er ja eh nur noch eine begrenzte Lebenserwatung hat. Hätte er noch 10 Jahre vor sich, sähe es vielleicht anders aus. Mit immer noch leichter Skepsis im Gesicht füllen wir erst mal einen Hundeausführvertrag und schicken die Familie mit „Bruno“ raus.

Eine halbe Stunde später kommen alle Vier wieder auf den Hof und die Mienen sind schon deutlich heller. Der ist vielleicht nett, der hat noch nicht mal einen anderen Hund angemacht und hat sich streicheln lassen. Das einzige, was nicht so toll war ist, dass er überhaupt keine Notiz von den Menschen am anderen Ende der Leine genommen hat. Hier können wir aber alle beruhigen, dass sich das gibt. Man soll sich mal vorstellen, dass der Hund Tag für Tag mit immer fremden Menschen rausgeht, da kann er sich gar nicht an diese gewöhnen. Und wenn sie genau hinschauen, beobachten sie vielleicht, wie Bruno auf die junge Frau im Hintergrund schaut und sie nicht aus den Augen lässt. Sie geht regelmäßig Nachmittags mit ihm. Er schließt also doch Bindungen.

Ja, was er denn nun kosten würde und sie würden ihn gleich mitnehmen wollen. Hier müssen wir erst mal enttäuschen. Eine unserer Kriterien verlangt, dass Interessenten mindestens zwei mal bei uns waren und sich mit dem Tier beschäftigen. Damit wollen wir Schnellschussreaktionen vorbeugen. Wie oft sind Leute –die am Vortag voller Enthusiasmus waren- gar nicht mehr wieder gekommen, weil die Welt am nächsten Morgen schon anders aussah. Eine Nacht drüber schlafen ist schon sinnvoll.

Nachdem wir die Familie samt Bruno in den Freilauf verfrachtet haben und sie dort noch ein paar Minuten mit ihm verbracht haben, verabschieden sie sich und versprechen morgen und auch die folgenden 2-3 Tage jeden Tag zum Spazierengehen zu kommen. Eigentlich haben wir ein gutes Gefühl und wünschen es Bruno, dass morgen „seine“ Leute wieder vorm Tor stehen.
Pünktlich 16.00 Uhr am Folgetag stehen tatsächlich Mama und Töchterchen da und schauen voller Erwartung Richtung Bruno und da sie ja Interessenten sind, schicken wir sie diesmal eine Stunde raus. Nachdem sie strahlend Bruno wiedergebracht haben, lassen wir eine Selbstauskunft ausfüllen. Hier schreibt der Interessent alles das nieder, was für uns wichtig in Bezug auf das zukünftige Zuhause ist, Viele Fragen unsererseits erledigen sich damit. Aber natürlich haben die Interessenten 1000 Fragen, wo der Hund herkommt, welche Geschichte er hat, was frisst er, wie viel, wie oft, wie oft muss er raus, Impfungen, Erziehung, Hundeschule und und und. Schnell ist eine weitere Stunde vergangen; als Lektüre für den Nachhauseweg geben wir noch unser Merkblatt „Der Hund aus dem Tierheim kommt ins Haus“ mit. Hier haben wir ein paar Hilfen und Verhaltensregeln niedergeschrieben, die einen leichteren Einstieg für beide Seiten sicherstellen sollen

Auch am nächsten Tag kommen die Leute wieder und haben sich nun fest entschieden, Bruno ein neues Zuhause zu schenken. Es wird ein Termin ausgemacht, an dem wir Bruno vorbeibringen. Bis dahin möchte die Familie gerne jeden Tag vorbeikommen und ihren Bruno ausführen. Sowas sehen wir natürlich gerne. Es wird noch Maß genommen, wie groß das Halsband sein soll und unsere lachende Mahnung sie sollen kein Halsband für einen Bernhardiner kaufen –so groß ist er ja nun auch wieder nicht- wird wohlwollend zur Kenntnis genommen. Auch Leine, Näpfe, Bürste und Kissen wird besorgt.

Der große Tag ist da, Bruno wird in sein neues Zuhause gebracht. Auch hier ist ein erfahrener Helfer dabei, der genau weiß, worauf er achten muss und noch viele Tipps und Tricks weitergibt. Nach über einer Stunde verabschiedet sich dann unser Helfer und wünscht viel Spaß mit dem neuen Familienmitglied.

Nach einiger Zeit kündigt sich dann ein Helfer von uns an und fährt eine Nachkontrolle. Auch hier stellen wir fest, ob das Zusammenleben so klappt, wie beide Seiten –Hund und Mensch- sich das vorstellen. Stolz wie Oskar erzählen die neuen Besitzer, was Bruno doch für ein anhänglicher Hund sei und auch die Nachbarn prima mit ihm zurecht kommen. Sie hätten den Nachbarn mittlerweile auch empfohlen, mal bei einem Tierheim vorbei zu schauen. Es lohne sich. Andere Nachbarn wiederum hätten sich einen Welpen aus der Zeitung geholt, sie seien hingefahren und nach 10 Minuten mit dem Hund wieder nach Hause gekommen und nun türmten sich Fragen über Fragen auf. So eine umfassende Beratung wie bei uns hätte nie stattgefunden. So was hören wir natürlich gerne, eine bessere Werbung für Tiere aus Tierheimen kann man gar nicht machen.

Besonders schön für uns ist, wenn uns „Ehemalige“ besuchen oder Emails oder Briefe mit Fotos schreiben. Hier merkt man dann richtig den Stolz der Besitzer, wie gut alles klappt und dass mittlerweile das neue Familienmitglied ins Herz geschlossen wurde.

Und so vergeht dann die Zeit, ab und zu kommt Bruno uns besuchen.

Eines Tages kommt die Familie wieder zu uns, diesmal ist Bruno nicht dabei. Betretendes Schweigen, Tränen fließen, sie hätten Bruno vor 14 Tagen einschläfern lassen müssen. Sein Zustand wurde immer schlechter und der Tierarzt hat nach einer langen Beratung der Familie empfohlen, den letzten Liebesdienst Bruno zu erweisen und loszulassen. 14 Jahre sei auch ein ordentliches Alter für einen Hund und er hätte ja noch 6 schöne Jahre mit ihnen gehabt.

Nun ist sich die Familie noch nicht ganz schlüssig, ob sie wieder einen Hund wollen, man fühle sich wie ein Verräter Bruno gegenüber. Einfühlsam versuchen wie sie darauf vorzubereiten, dass jedes auch seine guten Seiten hätte. Ein toller Platz für einen anderen Hund sei nun freigeworden und es wäre doch schön, wenn eine andere arme Seele nun ein neues Zuhause finden könnte. Wir schreiten die Zwinger ab und wollen eigentlich zu einem jüngeren Hund, ein richtiger Strolch, denn wir sind uns sicher, dass die Familie mit ihm klarkommt. Aber sie winken nur ab… einen Zwinger weiter sitzt ein älterer größerer Hund traurig in der Ecke. Sie wollen wieder einen alten Hund, es wäre so toll mit ihm gewesen. Und so holen wir “Bruno” raus und die nette Familie geht erst mal spazieren.