Erfreulicherweise gibt es immer noch Menschen, die keinen Wert auf Zuchtpapiere, edle Abstammung, Prestige usw. legen, sondern sich ganz einfach „nur“ einen Hund wünschen. Sie entscheiden sich dafür, einem Hund aus dem Tierheim ein Zuhause zu geben. Für und Wider. Von Birgit Lehnen
Wie kommen Hunde ins Tierheim, was geschieht dort, wer will sie und wer bekommt sie? Beim ersten Gang durch die Zwingeranlagen wird dann erst einmal „ausgesiebt“
– der ist zu alt
– der ist zu groß (oder zu klein)
– der sieht nicht gesund aus
– der wirkt aggressiv
– oh Gott, das ist ja ein Kampfhund….
Infolge dieser Kriterien ist es klar, dass Welpen oder kleine „Schmusehunde“, die einem mit treuen Blick anschauen, sich winselnd am Gitter hochstellen und bettelnd die Pfötchen heben, nicht lange im Tierheim bleiben. Sie finden sehr schnell jemanden, der sich ihrer erbarmt – häufig eine Entscheidung, die innerhalb von wenigen Minuten gefällt wird.
Nicht selten werden diese kleinen Goldstücke nach zwei bis drei Monaten wieder zurückgebracht weil sie zugebissen haben. Weshalb – das können die Besitzer nicht sagen „völlig grundlos“ heißt es immer.
Im Gegensatz zu denjenigen, die sich für einen kleinen Hund oder einen Welpen entscheiden, machen sich die Interessenten für einen großen Hund meistens von Anfang an mehr Gedanken über Erziehung und Haltung des Hundes und auch von Seiten des Tierheims wird viel mehr Wert auf „passendes Umfeld“ gelegt.
Dennoch geschieht es auch bei größeren Hunden immer wieder, dass sie nach ein paar Wochen zurückgebracht werden, weil „der Hund plötzlich aggressiv geworden ist“. Auch hier wissen die Besitzer keinen Grund für dieses Verhalten und schieben es auf frühere „schlechte Erfahrungen“ zurück.
Das mag in einigen Fällen auch zutreffen. Häufig werden Probleme, die mit einem Hund aus „zweiter Hand“ entstehen, jedoch von den Besitzern selbst hervorgerufen und resultieren aus deren Mitleid mit dem armen, abgeschobenen Wurm, den sie von seinem schweren Schicksal erlöst haben. Geradezu automatisch schießt wohl jedem Menschen der Gedanke durch den Kopf, dem armen Tier seine Vergangenheit vergessen zu lassen – ab jetzt soll ihm nur noch Gutes widerfahren. Genau aus diesem Gedanken heraus wird aber oftmals der Grundstein für eine problematische Hund-Halter-Beziehung gelegt.
Kommt ein Hund in eine neue Familie, dann wird er die erste Zeit nur beobachten. In der Regel „entpuppt“ sich ein „Second-hand-Hund“ erst nach vier bis sieben Wochen (Durchschnittswert infolge Rückgabezeit ins Tierheim). Er muss erst die Rangverhältnisse in seinem neuen Familienrudel kennen lernen, das heißt, er lotet ganz genau aus, wer bei Ihnen zu Hause „die Hosen anhat“, also wie die Rangordnung, die vom „Alphatier“ angeführt wird, aufgebaut ist. Dies ist der wichtigste Zeitraum für das spätere problemlose Zusammenleben mit dem neuen Hausgenossen.
Er muss vom ersten Tag an erkennen, dass er in eine Familie mit geklärter und stabiler Rangordnung gekommen ist und dass hier ein Chef ist, dem man in jeder Lebenslage vertrauen kann. Durch liebevolle, aber absolut konsequente Behandlung mit klarer Grenzsetzung vom ersten Tag an, bildet sich eine vertrauensvolle Beziehung zu den neuen Besitzern aus, und der Hund wird sich glücklich und zufrieden in seine Stellung als letztes Glied der Rangordnung einfügen.
Aber viele Menschen lassen ihrem Hund aus Mitleid heraus, er soll ja seine schlechte Zeit schnell vergessen, tun, was er will. Statt ihm allerdings, wie beabsichtigt, Gutes zu tun, verunsichern sie ihren Hund damit. Denn ein Hund braucht eine konsequente, stabile Führung, um Vertrauen und Sicherheit zu entwickeln.
Durch inkonsequente Behandlung seitens des Menschen kann sich niemals eine stabile Rangordnung ausbauen. Und die braucht ein Hund, um sich wohl zu fühlen. Wenn der Hund keinen „ordentlichen“ Chef unter seinen Menschen findet, dann wird er die Aufgabe, zum Schutz seines neuen Rudels, selbst übernehmen. Spätestens dann sind Probleme in der Mensch-Hund-Beziehung vorprogrammiert….
Noch ein wichtiger Hinweis: Auch ein besonders ängstlicher Hund braucht absolute Konsequenz, um seine Angst durch das Vertrauen in das neue Herrchen/Frauchen abbauen zu können.
Ich habe oben angeführt, dass ein „Second-hand-Hund“ am Anfang nicht sein wahres Gesicht zeigt. Angst, Unsicherheit, der Verlust seines alten Zuhause und vieles mehr können dazu führen, dass sich ein normalerweise ungestümer Rabauke zurückhaltend und still verhält, während ein ansonsten ruhiges und verschmustes Mäuschen knurrend und zähnefletschend am Zaun steht.
Lassen Sie sich bei der Auswahl Ihres zukünftigen Hundes also nicht vom ersten Eindruck leiten, sondern vertrauen Sie auf die Beratung durch das Tierheimpersonal beziehungsweise durch die Vermittler. Man muss sich allerdings vor Augen führen, dass auch diese Personen den Hund oftmals nicht so kennen, wie er sich in einem entspannten, stressfreien Umfeld verhält.
Geben Sie also auch einem Hund, der sich beim ersten Blick nicht als DER Traumhund darstellt, eine Chance und versuchen Sie ihn bei Spaziergängen kennen zu lernen und eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Kommt der Hund dann endgültig in Ihre Familie, dann sind Sie als neuer Besitzer vom ersten Tag an gefordert. Selbst wenn der Hund in seiner früheren Familie der Chef war, bleibt er bei richtigem Umgang in der neuen Familie gerne ein wichtiges Rudelmitglied am Ende der Rangfolge.
Häufig entstehen Probleme auch durch ein Zuviel an Zuwendung. Zwar ist eine enge Bindung zu unserem Hund erstrebenswert und wichtig, aber eine zu enge Bindung führt oftmals dazu, dass der Hund nicht mehr alleine gelassen werden kann. Er reagiert in Abwesenheit der Besitzer mit Dauerbellen, Winseln oder Heulen. Bei starken Trennungsängsten kommt es häufig dazu, dass der Hund Möbelstücke, Sofas, Teppiche o.ä. zerstört und in die Wohnung uriniert oder kotet.
Lassen Sie deshalb Ihren neuen Hausgenossen von Anfang an mehrmals täglich alleine; anfangs wirklich nur minutenweise (Gang zum Mülleimer oder ähnliches), später für die Dauer eines kurzen Einkaufs usw. Ganz wichtig ist, dass Sie ohne Abschiedsworte wie „Ich bin ja gleich wieder zurück…“ oder ähnlichen Zeremonien hinausgehen, denn das Warten ohne Angst oder Protest soll von Anfang an etwas Normales für den Hund sein.
Lassen sie sich nicht aus Mitleid dazu hinreißen, dem Hund zu viele Privilegien zuzugestehen, sondern seien Sie vom ersten Tag an ein souveräner Alpha für ihn! Vermitteln Sie ihm von Anfang an „Ich kümmere mich um alles – Du kannst Dich entspannt bei uns einleben.“